Tschechien – Alternative für deutsche Ski-Gäste?
Mag. Arnold Oberacher, GF und Partner der Edinger Tourismusberatung GmbH., führte im Jänner eine Fachexkursion in die Skigebiete des Iser- & Riesengebirges durch. Nur wenige hundert Kilometer von Berlin, Dresden oder Leipzig entfernt, versuchen die größten Skigebiete Tschechiens sich als Ziel- und Zukunftsmarkt für deutsche Gäste zu positionieren. Projekte wie die Nordische Ski-WM 2009 oder FIS-Weltcup-Rennen zeugen davon. Um sich auf diese Herausforderung einstellen zu können, überzeugten sich österreichische Seilbahnunternehmen, Skischulen, Skiverleiher und Tourismusverbände von der Qualität und dem Potenzial Nordböhmens.
Mag. Arnold Oberacher, Partner und Geschäftsführer der Edinger Tourismusberatung, ist u. a. auf Skigebiete spezialisiert und blickt gerne über den Tellerrand. Fotos: ETB
MM-FRAGE: „Herr Mag. Oberacher, welche Erkenntnisse haben Sie über die tschechischen Wintersportgebiete in puncto Angebot, Professionalität und Marketingaktivitäten gewonnen?“
Oberacher: „Insgesamt kann man in diesem Land eine Aufbruchstimmung beobachten – ähnlich wie bei uns in den 70-er und 80-er Jahren. Angebotsseitig gibt es zwar in vielen Bereichen – vor allem bei den Liftanlagen – noch Aufholbedarf. Allerdings werden intensive Angebotserneuerungen durchgeführt und es gibt für die nächsten Jahre weitere Ausbau- und Erweiterungspläne. Auffällig ist dabei vor allem die „Marken“-Orientierung der Tschechen. Man setzt fast ausschließlich neue Anlagen und Geräte von Anbietern wie Doppelmayr, Kässbohrer oder Skidata ein. Der Einsatz gebrauchter Anlagen und Einrichtungen ist kaum ein Thema. Schwächen sind derzeit vor allem noch in der Logistik der Skigebiete erkennbar – hier wurde früher mal da und mal dort ein Lift entwickelt ohne ein ,Skigebiet‘ im Auge zu haben. Allerdings wird gerade an diesem Punkt derzeit sehr intensiv gearbeitet. Auch die Professionalität der im Wintersportbereich tätigen Mitarbeiter ist überraschend hoch. Gerade in den Führungsbereichen sind fast ausschließlich universitär ausgebildete Techniker und Betriebswirte bzw. Marketingspezialisten tätig. Dies ist auch im Marketing spürbar. Durch den Einsatz von Sponsoring, Cross-Marketing und Kooperationen (z. B. mit Audi, etc.) wird sehr wirkungsvolles Marketing gemacht. Auch im Vertrieb werden neben klassischen Kanälen wie Internet oder Reiseveranstaltern auch alternative Kanäle, wie z. B. deutsche Schulen, Vereine, Betriebsausflüge, etc. bedient. In Summe entstand jedenfalls der Eindruck eines dynamischen und engagierten Wintersportangebotes, das sich vor allem gegenüber alpinen Destinationen klar positionieren und etablieren will.“
MM-FRAGE: „Haben wir noch Vorurteile, was die Entwicklung und Qualität in Tschechien angeht?“
Oberacher: „Offen gestanden glaube ich schon, dass vor allem aus Sicht der Alpendestinationen hier nach wie vor oftmals das Vorurteil besteht, diese Länder würden noch in der ,Kuckucksuhr‘ schlafen. Jeder aber, der sich vor Ort selbst überzeugt, wird erkennen, dass bereits heute einige mittlere und kleinere Skigebiete im Alpenraum ihre Mühe hätten mit manchen der tschechischen Nachbarn mitzuhalten. Mir geht es dabei weniger um die Qualität einzelner Aspekte (wie z. B. Modernität der Aufstiegshilfen oder Beschneiungsanlagen), sondern um das vom Gast wahr genommene Gesamtprodukt. Die dort gebotene aktuelle Qualität, das durchwegs funktionierende Zusammenspiel der meisten Anbieter (Beherbergung, Gastronomie, Skiverleih, Skischulen, etc.) in Kombination mit dem nach wie vor bestehenden deutlichen Preisvorteil (Tageskarten kosten hier durchschnittlich die Hälfte von österreichischen Angeboten) machen Tschechien auch für westliche Zielgruppen durchaus zu einer interessanten Alternative. Es ist keinesfalls mehr so, dass diese Länder nur von uns lernen können – mangelnde Investitionskraft machen sie oftmals durch Innovationskraft wett.“
Blick auf Pez: Das Iser- und Riesengebirge in Nordböhmen mit den Gebieten „Skiareal Jested“ in Liberec, „Skiarena Cerna-hora“ in Janske Lazne, Pez Pod Snezkou oder Spindleruv Mlyn bietet gerade für Wintersport-Einsteiger eine ideale Topografie.
MM-FRAGE: „Wie sieht der tschechische Markt selbst aus (Inländeranteil, Skifahrerstruktur, Schulskikurse, Begeisterung etc.)?“
Oberacher: „Tschechien ist eine sehr begeisterte Alpinund Outdoor-Nation. Dies zeigt sich auch im Wintersport. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern weist dieses Land einen überdurchschnittlich hohen Wintersportler- Anteil auf. Grund dafür ist, dass es in Tschechien nach wie vor regelmäßge Schulskikurse gibt, sodass nahezu jeder Tscheche in seinem Leben einmal auf Skiern stand. In Kombination mit dem immer höher werdenden Wohlstandsniveau ist die Chance groß, dass diese ,Neulinge‘ im Wintersport auch als hinkünftiges Marktpotenzial erhalten bleiben. Der (aktive) Wintersportleranteil wird in Tschechien auf rund 20 bis 25 % der Bevölkerung geschätzt. Die Begeisterung für diese Sportart zeigt sich auch an der Skiausrüstung, der Bekleidung und den Accessoires wo sich die Tschechen überwiegend etablierte Marken leisten.“
MM-FRAGE: „Haben Sie den Eindruck, dass Nordböhmen eine ernsthafte Konkurrenz im Kampf um Wintersportgäste werden könnte?“
Oberacher: „Hinsichtlich der Konkurrenz mit den alpinen Destinationen muss man sicherlich differenzieren. Die Nähe, vor allem zu den (ost)deutschen Zielmärkten, zu Polen und das große Potenzial in Tschechien selbst macht das Land vor allem für Kurzentschlossene und Einsteiger attraktiv. Die geringe Anreisedistanz und das Gefühl, als Einsteiger nicht gleich ein „Großskigebiet“ kaufen zu müssen in der Kombination mit den niedrigen Preisen machen die Region für Einsteiger äußerst attraktiv. Damit sind diese Skigebiete eigentlich wichtige „Feeder- Skigebiete“, die eine wertvolle Nachwuchsarbeit für die gesamte Europäische Wintersport-Industrie leisten. Wenn sie den Sport dann einmal beherrschen ist für viele aber ein Urlaub in einem imageträchtigeren und anspruchsvolleren Angebot der alpinen Destinationen der nächste logische Schritt.“
MM-FRAGE: „Sie sprechen von Feeder-Skigebieten. In Österreich ist ja eine Initiative angelaufen, die rot-weiß-rote Skigebiete als Einsteigergebiete positionieren will. Müssen wir in diesem Bereich also mit vermehrter Konkurrenz von den Nachbarn rechnen?“
Oberacher: „Die Leistungsvorteile wie räumliche Nähe zu Märkten wie Deutschland, ein überschaubares Angebot und die Preiswürdigkeit liegt in diesen Ländern auf der Hand. Gerade aus diesem Grund ist aber eine österreichische Initiative wichtig, um sich gegenüber diesen Einsteigerangeboten klar zu positionieren. Vor allem für mittlere und kleinere Skigebiete bietet dies eine Chance. Angesichts der Angebotsqualität in diesen Ländern kann eine positive Alleinstellung aber nur über Leistungsvorteile und Qualität und nicht über einen ruinösen Preiskampf passieren. Die österreichische Initiative stößt genau in dieses Horn und liegt meines Erachtens damit goldrichtig.“
Die Teilnehmer der Tschechien-Exkursion mit der Edinger Tourismus-Beratung kamen aus den Bereichen Seilbahnen, Tourismusverbände, Skischulen und Sportgeschäfte bzw. Skiverleihstaionen
MM-FRAGE: „Welche Fehler sollte man in diesem Zusammenhang vermeiden?“
Oberacher: „Der größte Fehler wird wohl sein, dass man diesen Märkten mit einer gewissen Arroganz und Überheblichkeit entgegentritt. Besucher aus diesen Ländern haben westeuropäisches Anspruchsniveau. Wir müssen in den Alpen und in Österreich daher vor allem in jenen Bereichen, in denen in diesen Ländern noch deutlicher Aufholbedarf besteht, unsere Alleinstellung suchen. Das gilt vor allem für den Bereich der Dienstleistung. Das sozialistische System in diesen Ländern hat verhindert, dass diese Menschen gelernt haben ,Dienst zu leisten‘. Das ist heute noch stark spürbar und wird sich wohl auch nicht von heute auf morgen ändern. Genau hier muss unsere vielgerühmte ,Gastlichkeit‘ ansetzen – vom Parkplatzeinweiser über den Gastromitarbeiter bis zum Liftbediensteten.“
MM-FRAGE: „Wäre kooperieren eine bessere Taktik als konkurrieren? Wie könnte so eine Marketingpartnerschaft aussehen?“
Oberacher: „Ich bin überzeugt, dass diese Skigebiete eine ganz wichtige Nachwuchsfunktion besitzen und zum Teil sehr große Märkte abdecken. Im Sinne der Zukunft des europäischen Wintersportmarktes müssen wir daher froh sein, dass es derartige Anbieter auch in Zukunft noch gibt. Da nach dem ,Einsteigen im Heimatland‘ für viele Gäste ein ,Winterurlaub in den Alpen‘ der logische nächste Schritt ist, macht es meines Erachtens jedenfalls mehr Sinn, mit diesen Gebieten zusammen zu arbeiten als sie als Konkurrenten zu sehen. Ich denke, dass Kooperationen hier sehr vielfältig aussehen können, vom reinen Cross-Marketing bis hin zu Zusammenarbeiten auch bei Technik- und Managementfragen.“
Infozentrum und Talstation in Janske Lazne.
MM-FRAGE: „Gibt es vielleicht sogar Bereiche, wo die Tschechen uns voraus sind?“
Oberacher: „Neben den bereits angesprochenen Aspekten fällt vor allem ein enorm hohes Qualitätsbewusstsein im Bereich der ,Sauberkeit’auf. Selbst bei den ältesten Anlagen finden Sie kaum verbleichte oder mit Aufklebern zugepflasterte Hinweistafeln und auch die für den Gast sichtbare Technik wird offensichtlich jährlich mit Farbe neu aufgefrischt. Gleiches gilt für die Umfeldstrukturen in diesen Skigebieten, wie z. B. Stationsgebäude oder Hütten. Zwar gibt es viele ältere Strukturen, aber alle sind top gepflegt. Ein weiterer Punkt ist sicherlich auch das Denken in ,touristischen Produkten‘: Wenn aus Sicht des Gastes in der Dienstleistungskette eines Winterurlaubs etwas fehlt oder in nicht optimaler Qualität vorhanden ist (z. B. Skischule, Skiverleih, etc.), wird das von den Bergbahnen relativ schnell selbst organisiert und gemacht. Ebenso in überraschend professionellem Maß vorhanden ist das Marketing im Bereich Cross-Marketing und Sponsoring mit Konsumgüter-Produzenten, wie z. B. der Automobilindustrie. Das Marketing geht dabei oftmals über einen klassischen Rahmen hinaus. So steht beispielsweise direkt im Einstiegsbereich von Spindlermühle eine ,Audi-Bar‘, die vom Barhocker bis zur Speisekarte auf diese Marke hin durchdesignt ist.“
MM-FRAGE: „Was glauben Sie, wie sich diese Skigebiete Nordböhmens weiter entwickeln werden? Ist überhaupt die Finanzkraft da, dass sie uns paroli bieten können?“
Oberacher: „In jedem Gespräch mit tschechischen Verantwortlichen wird spürbar, dass diese absolut in der Zukunft denken und viele Projekte und Ideen im Kopf haben. Aber auch ganz konkrete Planungen für die nächsten ein, zwei Jahre liegen vor. Allerdings kommt hier sehr oft schon auch die betriebswirtschaftliche Realität ins Spiel: Vor allem technische Investitionen im Bereich der Aufstiegshilfen, Beschneiung und Pistenpflege mit etablierten Marken müssen fast zum gleichen Preis realisiert werden wie im Alpenbereich. Dem gegenüber steht dann natürlich die deutlich geringere Preisdurchsetzung. Kostenseitig sind zwar die Personalaufwendungen wieder vergleichsweise günstig, gleichzeitig sind die Energiekosten in Tschechien sehr hoch (Treibstoff wird zu den gleichen Preisen wie bei uns verkauft), sodass beim wirtschaftlichen Ergebnis die Bäume auch nicht in den Himmel wachsen. Andererseits wird der Wettbewerb in Tschechien voraussichtlich nicht besonders stark steigen, da die topografische Situation und vor allem die (überraschend strenge) Naturschutzgesetzgebung im Land die Neuentwicklung von Skigebieten oder Skigebietszusammenschlüsse nur sehr limitiert möglich machen wird. Diese Situation – gepaart mit einer kontinuierlich steigenden Kaufkraft – ermöglicht es noch relativ leicht auch Investoren zu finden. Und so erwarte ich in den nächsten Jahren vor allem einen massiven Ausbau und eine Professionalisierung der bestehenden Anbieter. Es werden sich also ein paar wenige, aber hochprofessionelle Top-Einsteiger-Skigebiete hier etablieren. Diesnicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass nahezu alle größeren tschechischen Skigebiete auf enormen Bettenkapazitäten sitzen – beispielsweise existieren allein in der Region Spindlermühle rund 10 000 Gästebetten.“
MM-FRAGE: „Wer wird in Zukunft mehr von der Osterweiterung profitieren? Österreich vom Gästestrom aus den neuen Staaten Tschechien, Ungarn, etc. oder die Tschechen, indem sie Deutsche und Ost-Österreicher anlocken? Bumerang-Effekt?“
Oberacher: „Ohne schönfärberisch klingen zu wollen, aber ich glaube, dass tatsächlich alle gewinnen können. Solange sich österreichische Wintersportangebote klar und eindeutig, vor allem über Qualität zum fairen Preis, positionieren und attraktive Gesamturlaubspakete schnüren, werden wir es schaffen, uns als ,imageträchtige‘ Wunschund Zieldestinationen bei diesen Gästen zu verankern. Von den Skigebieten in Osteuropa wiederum erwarte ich, dass sie vor allem im Einsteiger- und Anfängersegment, aber auch im etwas preissensiblen Gäste-Segment punkten können. Für alpine Destinationen bedeutet dies aber nicht, dass man sich zurücklehnen kann. Eine klare Positionierung passiert nicht von alleine und auch nicht von heute auf morgen und wenn man sie nicht aktiv anstrebt, ist man schneller bei der Durchschnittlichkeit als man glaubt. Und Durchschnittlichkeit ist im unternehmerischen Leben bekanntermaßen die leichteste Angriffsfläche für Mitbewerber – auch jene aus Tschechien.“
MM: „Herr Mag. Oberacher, wir danken Ihnen für das Gespräch.“