Frau Prof. Pröbstl von der Boku Wien ist spätestens seit dem Kleinklima-Pilotprojekt in Schladming mit dem Ergebnis „Seehöhe heißt nicht gleich Schneehöhe“ der Bergbahnbranche keine Unbekannte. Seit 2005 ist Pröbstl im Umweltbeirat des Deutschen Skiverbandes und Mitglied der UVP-Gesellschaft, nachdem sie sich mit etlichen Publikationen über „Öko-Auditing in Ski – gebieten“ sowie „Skisport und Vegetation“ etc. Meriten erworben hatte. MM-Chefredakteur Dr. Markus Kalchgruber bat die Expertin nun zum Interview über Sinn und Chancen von Öko-Strategien für Wintersportdestinationen.

Interviewpartnerin Prof. Dr. DI Ulrike Pröbstl, Universität für Bodenkultur Wien. Foto: Pröbstl

MM-Frage: „Der Begriff ,nachhaltiger Wintertourismus‘ wird seit einigen Jahren häufig verwendet, allerdings nicht einheitlich. Was verstehen sie darunter und welche Elemente gehören unbedingt dazu?“
Prof. Pröbstl: „Zum Thema nachhaltiger Tourismus gibt es sehr unterschiedliche Definitionen. ,Nachhaltigkeit‘ stammt ursprünglich aus der Forstwirtschaft. Dort bedeutet nachhaltiges Wirtschaften, dass man seine Waldbestände in einer Periode durch die Holzernte nicht stärker dezimiert als im gleichen Zeitraum nachwachsen kann. Nachhaltigkeit kann es also immer nur mit regenerierbaren Ressourcen geben.Diese Situation haben wir in der Regel im Tourismus nicht. Vielfach wird im Englischen das Beispiel vom Kaninchen-Pferde-Eintopf gebraucht, denn die Anreise (das Pferd im Eintopf) verbraucht so viele Ressourcen, dass dieser Effekt durch den noch so umweltgerechten Aufenthalt (das Kaninchen) nicht ausgeglichen werden kann.Nachhaltigkeit beim Tourismus setzt also zunächst bei der Anreise an. Aktuelle Umfragen zeigen, dass die österreichischen Wintertouristen bereit sind sehr lange Strecken bis in schneesichere Urlaubsorte mit dem privaten PKW zurückzulegen.Beiträge zu mehr Nachhaltigkeit im Wintersport wären eine Anreise mit der Bahn samt den Abholdienst und der Verzicht auf Tagesausflüge zu Gunsten eines (auch viel erholsameren) Urlaubs im Schnee.“
MM-Frage: „Welche Chance hat Österreich, sich als erste nachhaltige Wintersportdestination zu entwickeln? Gibt es bereits Ansätze?“Prof. Pröbstl: „Das Angebot an Skiregionen und Urlaubsdestinationen ist in den letzten Jahren beständig gewachsen. In Osteuropa im Pirin-Gebirge in Bulgarien, in den Karpaten und in Russland sind zahlreiche neue Skigebiete entstanden. Auch die nordamerikanischen Skigebiete werben vermehrt um den europäischen Skifahrer und locken mit ,Powder‘, ,Heliskiing‘ und unberührtem ,Hinterland‘.Es kommt daher in Zukunft mehr als bisher darauf an, sich von anderen Regionen zu unterscheiden und ein besonderes Profil zu entwickeln. Nachdem die sportlichen Möglichkeiten und die Schneesicherheit in den genannten Destinationen vergleichbar sind, kommt es darauf an, andere Aspekte in die Außendarstellung mit einzubeziehen. Die Chance für die Skisportdestination Österreich sehe ich darin, dass es die erste große Wintersportdestination sein könnte, in der ich mit gutem Gewissen Ski fahren kann: Vom umweltverträglichen Pistenmanagement bis zum Schnitzel aus biologischen Betrieben vor Ort und dem gemütlichen, hackschnitzelgewärmten Hotelzimmer aus nachhaltig bewirtschafteten Bergwäldern…Eine Nische, die von Frankreich, Bulgarien, den USA und o. a. neuen Skiregionen in dieser Qualität derzeit nicht besetzt werden kann.Zukunftsorientierte Regionen und Wintersportorte setzen bereits heute hier an:. verträgliches Pistenmanagement erzeugt artenreiche Bergwiesen, deren Artenvielfalt diejenigen einer intensiven Landwirtschaft bei weitem übertrifft;. Verträge mit den Landwirten vor Ort erhalten traditionelle Nutzungen und Almbewirtschaftungen, die ohne den Tourismus nicht überlebensfähig wären;. Wasser für den technischen Schnee wird über den Sommer gesammelt, um Schäden an den Gewässern im Winter zu vermeiden (Speicherseen);. Bergbahnen, Parkhäuser und Liftstationen erhalten Photovoltaikanlagen oder Windaggregate, damit wenigstens ein Teil des Stroms selbst erzeugt wird;. Verträge mit Bahnen und Gemeindebussen reduzieren die Anreisebelastungen und kommen umweltfreundlich anreisenden Gästen zugute;. ein Umweltmanagementsystem schult die Mitarbeiter und erhöht die Motivation sich für die Umwelt im eigenen Bereich zu engagieren.“

Lech am Arlberg wurde für sein vorbildliches Umwelt-Konzept bereits mehrfach ausgezeichnet. Schon seit 2002 liefert eine 150 m2 große Photovoltaikanlage bei der Kriegerhornbahn Solarstrom. Foto: Skilifte Lech

MM-Frage: „Welche Vorteile hätte so eine Positionierung bezüglich des Images bei den Gästen? Geht es hier nur um Sympathiepunkte oder muss man, um künftig als Urlaubsziel überhaupt salonfähig bleiben zu können, den Gästen möglichst das schlechte ,Öko-Gewissen‘ nehmen?“
Prof. Pröbstl: „Das oben genannte Image spricht nicht alle Skifahrer an. Der jugendliche Skifahrer, der neben seinem Sport vor allem den Spaß in der Gruppe sucht, wird davon eher weniger angesprochen werden, als der qualitätsorientierte, etwas ältere Tourist, der Sport, Erholung und Naturerlebnis im Winter miteinander verbinden möchte. Im Hinblick auf die regionale Wertschöpfung sind letztere Kunden für Österreich die Wertvolleren. Marktforschungsergebnisse der Universität für Bodenkultur und der Fa. MANOVA zeigten, dass diese Zielgruppe auch bei temporär ungünstigeren Bedingungen (Tage an denen man nicht Skifahren kann) länger in der Region bleibt.Sympathiepunkte schaden sicher nicht, als viel wichtiger stufe ich dagegen die ganzheitliche Profilbildung und die Ansprache touristisch wichtiger Zielgruppen ein. Ich wünsche mir mehr Mut diese Ansätze heraus zu stellen und provokant zu vermarkten, anstatt immer ,Frau Holle‘ oder den ,Sound of Snow‘ (die Assoziation zu geräuschvollen Schneekanonen liegt dabei nahe?) zu bemühen. Noch immer werden diese Ansätze eher zurückhaltend vermittelt. Welcher Skifahrer weiß von dem modernen sparenden Schneemanagement in Schladming mit GPS-Schneemessung, um ein zu viel an Kunstschnee zu vermeiden, wer weiß dass die Kriegerhornbahn in Lech am Arlberg bereits seit 2002 durch semitransparente Module an der Süd- und Westfassade jährlich rund 15 000 kWh Strom erzeugt, der ins öffentliche Stromnetz eingespeist wird, dass das Skigebiet Kronplatz in Südtirol eine eigene Zuganbindung plant…Vielleicht sollte man von der Bio-Joghurt-Werbung lernen…, in dem wirklich nichts drin ist…“
MM-Frage: „Es existiert oft die Anschauung, dass nachhaltiger Wintertourismus nicht mit ,action & fun‘ zusammenpasst und somit eher etwas für die Älteren ist. Genau das wäre aber für die Branche mit einem weiteren Verlust der Jugend verbunden. Wie ist dieser Spagat ,Mehr Nachhaltigkeit und trotzdem Spaß‘ zu meistern?“
Prof. Pröbstl: „Das Thema nachhaltige Entwicklung wird noch immer gerne mit erhobenem Zeigefinger vermittelt und es entsteht der Eindruck, dass Nachhaltigkeit keinen Spaß machen darf…und umweltgerechtes Verhalten immer mit Verzicht und Sparsamkeit gekoppelt ist. Nachhaltigkeit muss Spaß machen, meine ich, sonst wird dieses Zukunftskonzept von jungen Touristen nicht übernommen und nicht angenommen. Ein Zusammenschluss von 20 Tourismusorten in den Alpen, die ,Alpine Pearls‘, zeigen anschaulich, dass das auch gelingen kann. Positive Entwicklung der Nächtigungszahlen und eine breite Anerkennung des Konzepts unterstreichen den Effekt des ,Spaßfaktors‘. Spaß-Mobilität und innovative Angebote begeistern die Gäste, junge und ältere. Von den kleinen alpinen Perlen und ihren Aktionen könnten viele größere Orte lernen.“
MM-Frage: „Hat also das alpenweite Netzwerk Alpine Pearls mit seinem Fokus auf sanfte Mobilität und Umweltfreundlichkeit für Sie Modellcharakter? Wie groß soll diese Gruppe werden, um am Skifahrermarkt dementsprechend wahrgenommen zu werden?“
Prof. Pröbstl: „Der touristische Markt ist nicht homogen und sucht immer nach neuen innovativen Angeboten. Die Trendforschung zeigt, dass der Trend zum Individualismus (ich suche ein einmaliges besonderes authentisches Urlaubserlebnis)die Entwicklung neuer touristischer Nischen begünstigt. Die Alpinen Perlen sind eine charmante Nische insbesondere im Bereich der sanften Mobilität. Der Wander- und Pilgertourismus oder neue Konzepte im Bereich des Energieerlebnistourismus sind weitere Beispiele für sich etablierende Nischen.Neben der Bedeutung der Alpine Pearls als spezielle Nische, sind Teile der dort entwickelten und überprüften Bausteine (vernetzte öffentliche Linien, Ticketlösungen, kostenlose Angebote an Verkehrsmittel) nicht an dieses besondere Konzept gebunden, sondern könnten auf viele Destinationen erfolgreich übertragen werden. Die Alpine Pearls als innovative Orte einer speziellen Qualität können jedoch aus meiner Sicht nicht unbegrenzt wachsen, um ihr spezielles Profil nicht zu verlieren.“

Österreich könnte die erste große Skisportdestination sein, in der man mit gutem Gewissen Ski fahren kann: Vom umweltverträglichen Pistenmanagement bis zum Schnitzel aus biologischen Betrieben und hackschnitzelgewärmten Hotelzimmer. Foto: BB Fiss

MM-Frage: „Zukunftsorientierte Regionen bzw. auch Bergbahnen haben wie erwähnt bereits Maßnahmen getroffen, die nicht hinreichend kommuniziert werden. Soll man Auszeichnungen vergeben á la ,Pistengütesiegel‘, um mehr Aufmerksamkeit zu schaffen?“
Prof. Pröbstl: „Wie bereits angesprochen finde ich, dass zukunftsorientiertes Management offensiver, provokanter und spannender vermittelt werden sollte. Nur so kann man das mögliche besondere Profil Österreichs als Skidestination weltweit vermitteln. Hier wäre auch eine sektorenübergreifende Kooperation etwa mit der Vermarktung von Bioprodukten, der Erhaltung von lokalen Rassen, Tourismus und Seilbahnwirtschaft stärker anzudenken. Auszeichnungen können einen Beitrag leisten, dieser hängt jedoch davon ab, wer diese Auszeichnung vergibt und welche Zielsetzung dahinter steht.“
MM-Frage: „Sie sind auch eine Befürworterin von Umweltaudits für Skigebiete. Was kann man sich darunter vorstellen, wie viele Teilnehmer gibt es bereits und welchen Nutzen bringt es?“
Prof. Pröbstl: „Beim Umweltaudit für Skigebiete untersuchen die Unternehmen unter Einbeziehung ihrer Mitarbeiter umweltbezogene Risiken und Möglichkeiten der Verbesserung. In Europa hat sich EMAS als wichtige Unterstützung für eine nachhaltige Entwicklung etabliert.Darüber hinaus ist die Verbesserung der Rechtssicherheit, der Mitarbeitermotivation und Ressourceneinsparung ein wichtiges Argument für die Teilnahme an diesem Prozess.Nach dem Erfolg und der breiten Akzeptanz in der Wirtschaft erfolgt nun schrittweise die Verbreitung auch im Tourismus.Die Diskussion um umweltbezogene Verbesserungen in Skigebieten und die Suche nach vermarktbaren Leistungen und Erfolgen führten zu einem Einsatz dieses Instruments auch im Bereich des Wintersportes. Aus der Sicht von Unternehmen besticht weiterhin die Tatsache, dass es sich nicht um behördlich ,verordnete‘ sondern um freiwillige, marktwirtschaftlich ausgerichtete Maßnahmen zur Umweltvorsorge handelt.Umfang, Schwerpunkte und Ausrichtung liegen weitgehend im Verantwortungsbereich des Unternehmens. Es gibt in Österreich nur wenige zertifizierte Unternehmen, jedoch liegen bereits viele Anfragen vor. Eine der Bergbahnen, die sich seit vielen Jahren regelmäßig einer umweltbezogenen Prüfung unterziehen und deren Umweltbilanz jedermann in der sogenannten Umwelterklärung nachlesen kann, sind die Skilifte Lech am Arlberg. Dieses vorbildliche Konzept wurde auch 2009 durch die Alpenkonferenz und proNaturaproSki ausgezeichnet.“
MM-Frage: „Es gibt ja wenige Dinge, wo man Kosten sparen und zugleich der Umwelt Gutes tun kann. Glauben Sie, dass die Schneehöhenmessung State of the Art in der Bergbahnbranche werden sollte, um ein Signal zu setzen?“
Prof. Pröbstl: „Bislang zeigen sich in Schladming und Kitzbühel positive Entwicklungen im Hinblick auf den Wasser und Strombedarf. Eine im Mai beginnende wissenschaftliche Studie in Kitzbühel soll von 2010 bis 2012 auch die positiven Effekte bezogen auf die Bewirtschaftungsintensität, für Boden und Vegetation usw. näher betrachten und durch systematisch angelegte Feldversuche die erwarteten positiven Effekte nachweisen. Für eine abschließende Bilanz ist es noch zu früh.“
MM: „Frau Professor wir danken für das Gespräch.“