MM-Frage: „Als Quereinsteiger in diese Branche einerseits und als Jurist bzw. Geschäftsführer eines Planungsbüros andererseits haben Sie sicher eine besondere Sicht der Bergbahnrealität. Wie stellt sich diese für Sie im Allgemeinen dar – und wie im Besonderen?“

Die neuer 6er-Gondelbahn wurde 2006 errichtet und bedingte die Konzipierung neuer Freizeiteinrichtungen

Johannes Sutter: „Ich empfinde die Bergbahnbranche als höchst
interessant und vielseitig. Zahlreiche betriebswirtschaftliche
Teildisziplinen gelangen zur Anwendung. Damit eng verbunden ist die
Technik, sei es im täglichen operativen Geschäft (Stichworte
Betriebssicherheit und Sicherheit von Gästen und Personal), aber auch in
strategischer Hinsicht (Stichworte Lebensdauer, Unterhaltsplanung,
technische Möglichkeiten). Tägliche Herausforderung ist es, nebst der
Leitung des operativen Geschäfts die strategischen, ja nachgerade
visionären Überlegungen nicht auf der Strecke zu belassen. Hier kommt
mir meine Grundausbildung als Jurist zugute – Juristen neigen
bekanntlich dazu, sich stellende Herausforderungen systematisch
durchdacht anzugehen. Und gerade im Kontakt mit Behörden,
Grundeigentümern usw. erweist es sich keineswegs als Nachteil, in der
Juristerei geübt zu sein. Im Besonderen ist es so, dass die
Wasserfallenbahn im Vergleich mit Bergbahnen im Alpenraum einige
Besonderheiten aufweist, welche die Tätigkeit aber erst recht reizvoll
machen.“MM-Frage: „Schildern Sie kurz die Geschichte der
Luftseilbahn Reigoldswil-Wasserfallen sowie geplante
Modernisierungsmaßnahmen und auf Eis gelegte Projekte.“Sutter:
„Im Jahre 1956 waren im Baselbieter Jura Pioniere am Werk, die eine
„Müller-Gondelbahn“ erstellt haben. Beispielsweise wurden die Stützen
damals noch mit Traktor und Wagen mühselig an ihre Standorte
transportiert. Mitte der 90er Jahre entließ die damalige Besitzerin, die
Autobus AG Liestal, die Bahn als Stiftung in die Selbständigkeit.
Bereits 2003 indessen zeigte sich, dass eine Verlängerung der
Betriebsbewilligung über 2006 hinaus nicht realistisch war. Die Stiftung
schickte sich an, für CHF 11 Mio. eine neue 6er-Einseilumlaufbahn zu
planen. Dabei sollte die Streckenführung von der bisherigen Bergstation
,Wasserfallen‘ auf den Vogelberg verlängert werden. Damit hätte ein
Punkt erreicht werden können, der Ausgangspunkt für viele zusätzliche
Wanderstrecken gewesen wäre. Doch das fehlende Einverständnis einer
Grundeigentümerin, Widerstände seitens der Umweltverbände und einer
lokalen Gruppierung sowie fehlende Mittel verunmöglichten die Umsetzung
dieser Vision. Stattdessen war den Verantwortlichen damals schon klar,
dass mit der neuen Bahn (auf der bisherigen Streckenführung) zusätzliche
Freizeiteinrichtungen zu konzipieren sind. Ziel und Zweck der Stiftung
ist es nämlich, den langfristigen Fortbestand der Wasserfallenbahn zu
sichern.“MM-Frage: „Die Wasserfallenbahn charakterisiert sich durch einige Eigenheiten (wie z. B. die Rechtsform Stiftung, Fanclub, Finanzierung Neubau, Naturschutz etc). Wollen Sie uns diese bitte näher beschreiben?“Sutter: „Ermöglicht wurde der Bau der neuen Bahn dank einer Spenden- und Sponsoringkampagne, die Ihresgleichen sucht: mit öffentlichen Beiträgen, Spenden und Sponsoring konnten 80 % der gesamten Investitionskosten finanziert werden. Die Bandbreite reichte dabei von einem Beitrag von mehreren Millionen (Kanton Basel-Landschaft) bis hin zur Seniorin, die mit einem Einzahlungsschein CHF 5.– überwies. Bereits Mitte der 90er Jahre hat sich der sogenannte ,Bähnli-Club‘ formiert. Dieser Unterstützungs- und Fanclub unserer Bahn weist fast 400 Mitglieder auf. Der Club unterstützt mit seinen Mitteln Investitionen der Stiftung – beispielsweise für das Gesamtbild wichtige Maßnahmen ohne direkten Payback. Der Club hat aber auch bei der Finanzierung des Bahnneubaus eine wichtige Rolle gespielt. Sodann hat er während mehreren Jahren die Wirtschaft bei der Bergstation in Eigenregie betrieben. Der Status der Stiftung – meines Wissens die einzige Bergbahn in der Schweiz, die als Stiftung ,geschäftet‘ – rührt daher, dass die Bahn in den 90er Jahren, aber auch rund um den Neubau 2006, mit öffentlichen Geldern und privaten Spenden alimentiert wurde. Die Bahn wurde gewissermaßen der Öffentlichkeit gestiftet. Auf der einen Seite verpflichtet dieser Status. Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass die Stiftung über absolute unternehmerische Handlungsfreiheit verfügt – und von dieser auch Gebrauch macht. Am Rande sei erwähnt, dass der Status als Stiftung bisweilen eigenartige Blüten treibt. So kommt es vor, dass Gäste sich Rechte herausnehmen wollen, die den Betriebsbestimmungen widersprechen – mit der Begründung, die Bahn gehöre ja allen Steuerzahlerinnen  und Steuerzahlern…“ Erwähnenswert ist schließlich, dass der überwiegende Teil des Wasserfallengebiets unter Naturschutz steht. Die Entwicklung von Freizeiteinrichtungen ist aufgrund dessen der Naturnähe und Nachhaltigkeit verpflichtet. Dies darf aber nicht als Nachteil gesehen werden. Denn ohnehin besucht uns ein wesentliches Kundensegment, die Wanderer, eben gerade wegen der intakten Natur und Landschaft.“

Interviewpartner Johannes Sutter, Geschäftsführ der Stiftung Luftseilbahn Reigoldswil- Wasserfallen und Geschäftsführer des Ingenieur- und Planungsbüros Sutter AG Arboldswil. Fotos: Sutter AG

MM-Frage: „Welche Positionierung kann eine Seilbahn im Kanton Baselland im Jura erfolgreich anstreben? Mit welchen speziellen Gegebenheiten hat man es zu tun, worauf ist zu achten?“Sutter: „Die Bahn liegt in einem Höhenbereich (550–950 m.ü.M.), der die Budgetierung von Einnahmen aus dem Wintersport nicht eben einfach gestaltet. Die beiden Skilifte auf der Wasserfalle wurden anfangs der 90er Jahre aus wirtschaftlichen Gründen abgebrochen. Die Hauptsaison dauert bei uns von Juni bis Oktober. Wir sind eine klassische Ausflugsbahn, die vor allem von Gästen aus der Nordwestschweiz, dem französischen Elsass und dem deutschen Südbaden frequentiert wird. Insofern stehen wir mit Ausflugsgebieten im Schwarzwald und im Elsass in direkter Konkurrenz. Ungersere Bahn profitiert indessen von ihrer Einmaligkeit in der Region. Wir werden von vielen Gästen besucht, die keinen Bezug zu den Alpen und sonst keine Gelegenheit haben, eine Gondelbahn zu benützen. Ausgerichtet sind wir traditionellerweise auf das Kundensegment der Familien, Senioren und Gruppenreisenden, die in wunderschöner Landschaft und intakter Natur wandern. Derzeit positionieren wir uns ergänzend (und bislang sehr erfolgreich) im Markt des Erlebnistourismus. Dies indessen nicht, ohne die Stammgästegruppe – die Wanderer und Spaziergänger – zu vergraulen und zu vertreiben. Eine Überlegung, die manche Alpenregion meines Erachtens zu wenig macht, ist bei uns das Thema: die Verträglichkeit der Kundengruppen untereinander!“

Im Juni 2010 konnte der Waldseilpark eröffnet werden – mit dem Resultat, dass die Sommerfrequenzen hinterher explodiert sind.

MM-Frage: „Eure Freizeitangebote haben sich ausgeweitet und sollen noch mehr expandieren. Wie sieht das Spektrum derzeit aus und wie wird es weitergehen?“Sutter: „Bereits 2005 war dem Stiftungsrat, der strategischen Führung der Unternehmung, klar, dass mit dem schlichten Transport von Wanderern, dem Vermieten von Rodeln an ein paar schneereichen Tagen im Winter und dem Betreiben einer Trotti-Bike-Strecke das langfristige Überleben der Bahn nicht sichergestellt ist. Er hat damals das Entwicklungskonzept ,Wasserfallen Plus‘ initialisiert. Im Jahre 2008 habe ich zu dessen Umsetzung dem Stiftungsrat konkrete Vorschläge unterbreitet. Ein erster Umsetzungsschritt wurde bereits gemacht. Im Juni 2010 haben wir nach fünfmonatiUnger Bewilligungsverfahrens- und fünfwöchiger Bauzeit einen Waldseilpark eröffnet. Mit dem Resultat, dass unsere Sommerfrequenzen nachgerade explodiert sind und der neue Waldseilpark praktisch andauernd ausgebucht war – was den Bedarf an Freizeiteinrichtungen, die in die Landschaft passen, eindrücklich manifestiert. Weitere Projektschritte sehen vor, einen speziellen Familienerlebnisweg ,Wassi‘, einen Familienspielplatz ,Elements Park‘, einen Geschichte(n)weg für Senioren sowie die Erweiterung des Waldseilparks für Kinder zu realisieren.“

Der Betrieb einer Trotti-Bike-Strecke gehört seit Jahren zum Freizeitangebot der Wasserfallenbahn.

MM-Frage: „Welchen Effekt soll das verstärkte Freizeitangebot – vor allem der neue Waldseilpark – auf die Bahnfrequenzen haben?“Sutter: „Der neue Waldseilpark, aber auch die noch folgenden Angebote, sollen der Bahn insgesamt zu zusätzlichen Frequenzen verhelfen. Vor allem möchten wir die Auslastung an bislang frequenzschwachen Zeiten – Vorsaison, schlechte Witterung, werktags – verbessern. Wie die zu Ende gegangene Sommersaison gezeigt hat, ist dies sehr gut gelungen. Es fand eine deutliche Belebung des Gebietes unter der Woche statt. Und vor allem dank vielen Gruppenbuchungen waren wir auch beischlechter Witterung gut ausgelastet.  Zu erwähnen bleibt, dass ein Wachstum an Wochenenden ohnehin an Grenzen stoßen würde: einerseits an Kapazitätsgrenzen der Bahn (bei einer Förderleistung von 650 Pers./h), wie aber auch an Kapazitätsengpässe beim Parkplatzangebot. Quantitatives Wachstum streben wir deshalb in besagten bisherigen frequenzschwachen Perioden an.“

Da keine Skilifte mehr bestehen in Reigoldswil, wird die Strecke von der Berg- zur Talstation als Rodelbahn genutzt.

MM-Frage: „Wie sieht die Verteilung Sommer- zu Wintergeschäft aus? Kann man das Gebiet auch für Skilauf nutzen – bzw. als ,Breeder‘- Station für Anfänger aus den Agglomerationen– oder nur für alternative Sportarten wie Rodeln, Schneeschuhwandern etc.?“