Im Vorfeld der ALPITEC, das ein Symposium zum Thema „Herausforderung China“ organisierte, wurde dessen Initiator Erwin Stricker, der ehemalige Top-Skirennläufer Italiens und Gründer der Rent-a-Sport-Organisation mit nunmehr über 500 nationalen und internationalen Vermiet- und Servicepartnern im Winterund Radsportbereich zum Interview gebeten. Stricker ist seit Jahren in China aktiv und engagiert sich mit Südtiroler Partnern (z. B. Leitner und Plose AG) beim Aufbau von Skigebieten, unterstützt den chinesischen Skiverband in der Skilehrer- und Skifahrerausbildung und organisiert zahlreiche Events rund um den Skisport. Wie stehen nun die Chancen für die alpine Wintersportindustrie bzw. – Dienstleister, am stark expandierenden chinesischen Markt zu reüssieren? Thorsten Block fragte für den MOUNTAIN MANAGER nach.

Erwin Stricker, Ex-Skirennläufer und Gründer von Rent a Sport, engagiert sich seit längerer Zeit in China. Foto: mak

MM-FRAGE: „Herr Stricker, wo liegen die Voraussetzungen für die vielversprechenden Perspektiven eines chinesischen Berg- und Wintertourismus?“
 
Stricker: „Zuallererst natürlich in der Größe des Landes und seinen vielfältigen Möglichkeiten für den Wintersport, die sich über ganz China von Südwesten bis Nordosten erstrecken. In den großen Ballungszentren boomt der Indoor-Ski, dort baut man mittlerweile die siebte Skihalle – richtige ,Skifahrerfabriken‘ mit 24 Stunden Betrieb – das ist absolut beachtlich. Der chinesische Skiverband plant innerhalb der nächsten fünf Jahre ein Prozent der Chinesen zum Wintersport zu bringen. Insgesamt also 14 Millionen Menschen – und das sind so viele, wie wir momentan auf allen Pisten in Europa haben.“
 
MM-FRAGE: „Kann man schon von einem breiten Ski-Boom sprechen oder überwiegen doch noch eher punktuelle Entwicklungen? Gibt es Parallelen zu den Ski- und bergtouristischen Anfängen etwa in Nordamerika oder Japan?“
 
Stricker: „Die chinesische Entwicklung ist recht einzigartig, das derzeitige Angebot unterscheidet sich grundlegend von den Ausgangsvoraussetzungen des Skitourismus in Amerika oder Japan. Amerika hat seine Skiresort-Kultur vor allem für reiche Leute auf der Basis von Ferieneigentum entwickelt und auch in Japan konnte die Ski- und Tourismus-Industrie auf ein ganz anderes Konsumenten-Verhalten aufbauen. Noch heute ist Japan mit gerade 10 Prozent Mietanteil der schlechteste Rentalmarkt weltweit – in China besitzt kaum jemand Skier oder Snowboards, der Mietanteil liegt hier bei 90 Prozent! Überhaupt sind Chinas Skigebiete meist ,Snowparks‘, das heißt, sie bezahlen einen Eintritt wie bei Disneyland, können am Simulator skifahren, vom Restaurant aus nur zuschauen, in einem Gummireifen die Piste runterrutschen oder tatsächlich Ski mieten – das ist alles im Eintrittspreis inbegriffen. Es gibt nur zwei ,freie Skigebiete‘ in China, das ist zum einen Wanlong im Chongli Country an der Grenze der Inneren Mongolei und zum anderen Yabuli in Nordchina in der Nähe von Harbin. Die Aufbruchstimmung in China ist unwahrscheinlich groß. Allerdings schafft ein gewisses Chaos ebenso enorme Probleme. Noch ist alles schlecht organisiert, vor allem das Material ist in miserablem Zustand. Lange Zeit war China gewissermaßen eine ,Müllhalde‘ des japanischen Marktes, der ja bekanntlich große Krisen durchgemacht hat. In diesem Sinne braucht die chinesische Wintersportwirtschaft unser Know-how und unsere Unterstützung.“

Ein Skigebiet in der Nähe von Shanghai. 80% der Chinesen sind Anfänger. Foto:Reichmann

MM-FRAGE: „China ist weit weg. Bis auf wenige große Hersteller, die mit einer eigenen Organisation den Markt bearbeiten können, gestaltet sich für kleinere Unternehmen ein Engagement meist schwierig und risikoreich. Welche Möglichkeiten bieten sich an?“
Stricker: „Man muss sich klar darüber sein, dass alles was wir den Chinesen voraus haben, unser Know-how ist – das ist unser Kapital. Geben wir es ungeschützt heraus, kann es passieren, dass es gnadenlos und brutal kopiert wird. Um dies zu umgehen, müssen wir die Chinesen an uns binden, wir müssen selber unsere Hausaufgaben vor Ort machen, eigenes Kapital ins Land bringen. Diese Möglichkeit besteht auch für kleine und mittlere Unternehmen, wenn sie sich in Gruppierungen zusammenschließen. So engagiert sich gerade eine Gruppe Südtiroler Unternehmen im Bau eines Skigebietes in der inneren Mongolei, und ich bin mir sicher, dass dieses ambitionierte Projekt zu einem Modell des künftigen Skilaufs in China werden kann. Eine weitere Möglichkeit sind sogenannte Jumelage-Programme, das heißt, ein Hersteller oder Dienstleister, ja selbst ein kleines Skigebiet entwickelt vor Ort einen Beratungsvertrag mit einem chinesischen Unternehmen. Auf Basis internationaler Verträge und in Zusammenarbeit mit den richtigen Beratern kann man auch dadurch die verschiedenen Sektoren langfristig an sein eigenes Unternehmen binden.“
MM-FRAGE: „Neben dem reinen Ausrüstungssektor – Skiindustrie, Aufstiegs- und Beschneiungsanlagen – gibt es andere Teilbranchen, die sich am Aufbau der notwendigen Infrastrukturen beteiligen können?“
Stricker: „Der Dienstleistungsbereich ist der größte Markt für uns. Hier muss dringend System hinein. Für uns wäre es kaum vorstellbar, in einem riesigen Ameisenhaufen mit stundenlangen Wartezeiten überhaupt in den Schnee zu gehen. Und dann die Sicherheit: ohne Helme, ohne Netze und mit lebensgefährlichen Liftkonstruktionen im Eigenbau. Wir schütteln darüber den Kopf, aber wir vergeben uns auch ein riesiges Potenzial. Von der einen Million Menschen, die sich dieses Jahr zum ersten Mal in chinesische Skigebiete begeben, bleiben gerade einmal 10 bis 20 Prozent beim Wintersport.Ein wichtiger Punkt ist die Skilehrerausbildung. Die existiert momentan praktisch nicht. Zwar drängen momentan alle Skidestinationen auf den chinesischen Markt und wollen dort ihr eigenes System umsetzen, aber das wollen die Chinesen gar nicht. Sie brauchen ihr eigenes Skischulsystem. Daran arbeitet gerade der chinesische Skiverband, der auch die Lizenzen vergibt, in Kooperation mit einer internationalen Kommission unter der Leitung von Hubert Fink, dem früheren Präsidenten des internationalen Skilehrer-Verbandes. Das wird dem chinesischen Skilauf und dem gesamten Wintersport die richtige Richtung geben. Schon jetzt haben die Chinesen ja Olympiamedaillen im Skisport gewonnen – und das alleine kennzeichnet ihre Dynamik, mit der sie die vergangenen neunzig Jahre aufholen. Noch 1994 gab es kein einziges Skigebiet in China, seitdem haben sich 205 Skigebiete entwickelt. Wenn man sie denn so nennen darf, denn das reicht tatsächlich von einer uralten Aufstiegsanlage mit einem einzigen Skilift bis zu modernen Snowparks.“

Erwin Stricker und der Präsident der Bozener Messe, Dr. Gernot Rössler (2 v. l.) übberreichten Repräsentanten chinesischer Skigebiete auf der Pro Winter Geschenke.

MM-FRAGE: „Gibt es Möglichkeiten für den touristischen Know-how-Transfer?“
Stricker: „Noch ist der Tourismus nicht ausgelegt wie bei uns. Als reiner Wochenend-Tourismus gibt es keine Gastronomie in den Skiorten und keine Hotelbetten. Bei uns in Europa wäre solches Business nicht vorstellbar, weil es sich bei den enormen Investitionen nicht rechnen würde. China braucht jetzt auch den Wochentourismus, um den Qualitätssprung in Material und Beratung zu schaffen. Das entsprechende Know-how fehlt fast ganz, niemand weiß, dass man einen Ski oder ein Snowboard präparieren muss – und es gibt meines Wissens zur Zeit in China nur eine einzige Maschine, um Ski zu schleifen.“
MM-FRAGE: „Blicken wir in die Zukunft: kann das Engagement der europäischen Berg- und Winterindustrie dazu führen, dass langfristig auch europäische Destinationen vom chinesischen Skiboom profitieren?“
Stricker: „Tien Younian, der Generalsekretär des chinesischen Skiverbandes, sprach von einem Prozent der Chinesen auf Skiern innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre. Auch wenn er sich um die Hälfte täuscht, dann sind das immerhin 7,5 Millionen – das hat momentan kein Land auf der Welt. Diesem Potenzial sollten wir mit Respekt und Aufmerksamkeit gegenüberstehen. Das gilt für unser Engagement in China, indem wir nicht einfach nur versuchen, kurzfristige Deals zu machen, um da unseren Schrott los zu werden, sondern wirklich langfristige Partnerschaften eingehen und planen. Und das sehe ich auch für unseren heimischen Tourismus, da die Chinesen und womöglich kurz danach Indien die Schlüsselposition im organischen Wachstum des Weltwintersports einnehmen werden.“
MM-FRAGE: „Werden chinesische Ferntouristen zu einem ernst zu nehmenden Faktor für unseren heimischen Fremdenverkehr?“
Stricker: „Davon gehe ich aus. Wir haben heute schon viele chinesische Tour-Operator, die nach Europa drängen. Wir haben in Italien einen China-Boom im Kultur-Tourismus – und die Gäste werden, wenn sie erst einmal skifahren können oder wenn ein kleiner Prozentsatz von ihnen skifährt, auch in unsere Gebiete kommen. Es gibt jetzt schon Tour-Operator, die Skiprodukte gesucht haben an der Mailänder Tourismus-Börse BIT, und wir haben bereits Pakete angeboten. Dabei ist dieser Tourismus kein Wochentourismus wie wir ihn kennen. Die Chinesen wollen zwei, drei Tage skifahren, zwei, drei Tage Shopping, sie besuchen Venedig und Rom – eigentlich ja typisch asiatische Verhaltensmuster. Jedenfalls werden die ,Weißen Wochen‘, wie wir sie besonders mit unseren deutschen Nachbarn kennen, in China kurzfristig kein Erfolg sein.“
MM-FRAGE: „Das heißt – Skifahren in den Dolomiten wird nur ein Teil der Italien-Reise sein?“
Stricker: „Momentan sehen wir in der allgemeinen Tendenz einen starken Gästerückgang über die Wochentage – dagegen boomt unser Wochenendtourismus. Immer mehr der europäischen Gäste buchen vornehmlich nur Samstag/Sonntag oder lange Wochenenden und wir haben dann leere Betten am Anfang der Woche, speziell in den kleineren Skigebieten. Vielleicht gelingt es uns ja, diese schwachen Tage mit Ferntouristen auszugleichen. Städtetourismus läuft am Wochenende oder an anderen Tagen – mit den angesprochenen Fernreise-Paketen könnten wir die Frequenz auf den Pisten und eine bessere Belegung der Betten gewährleisten.“
MM: „Vielen Dank für dieses Gespräch!