Seit Ende 2008 koordiniert die Touristische Unternehmung Grächen im Walliser Bergort alles, was mit Tourismusplanung und -marketing, Ausrüstungen und Infrastruktur sowie saisonübergreifender Gästebetreuung am Berg zu tun hat. Mountain Manager sprach mit CEO Dr. Berno Stoffel über das nach wie vor recht einzigartige Ressort-Konzept und dessen langfristige Ausrichtung als konsequent gestaltete Ganzjahres-Familiendestination.

Dr. Berno Stoffel, CEO der ?Touristischen Unternehmung Grächen AG

MM: „Bitte zeichnen Sie kurz die wichtigsten Entwicklungsschritte Ihres Unternehmens bis zu seiner heutigen Organisationsform auf.“Stoffel: „Formaljuristisch besteht die Touristische Unternehmung Grächen AG seit dem 15. Oktober 2010 – wir führen die Gesamtorganisation jedoch bereits seit Dezember 2008 operativ als Unternehmen. Die Entwicklung ist Teil eines strategischen Prozesses, der 2006 eingeleitet wurde.Die Frage damals war: Wohin wird Grächen gehen, wie wird sich die Destination entwickeln? Man hat sich der Stärken Grächens besonnen, die vor allem im Familientourismus lagen. In den Achtziger Jahren lag der Ort hier ganz vorne und diente als Beispiel für andere erfolgreiche Destinationen. Zuletzt war Grächen in diesem Segment zwar immer noch stark, allerdings nicht mehr so gut positioniert, auch weil vielleicht das Profil nicht mehr ausreichend geschärft wurde. Dorthin wollen wir zurück: Unser Ziel ist es, in der Schweiz zu den besten drei Familiendestinationen zu gehören.Man erkannte dann schnell, dass dies der Anstrengungen aller Leistungsträger bedarf, die Bergbahn alleine kann das nicht leisten. Es braucht eine Zusammenarbeit im Marketing, die Mittel müssen zusammengehen, Synergien ausgenutzt und die ganzen Leistungen insgesamt professionalisiert werden. Je mehr man segmentiert, desto weniger kann man die Leistungen professionalisieren. Aus diesem Grund hat man den Destinationsgedanken verfolgt, fast wie ein Ressortmodell über das ganze Dorf, in dem die wichtigsten und größten Leistungsträger integriert sind – so schlank wie es nur geht.In der Touristischen Unternehmung Grächen wurden dann die entsprechenden Aufgaben von Bergbahnen, Gemeinde, Tourismus und Ortsmarketing sowie Berggastronomie zusammengeführt. Dieser Prozess wurde von den Leistungsträgern sehr gut aufgenommen, das Zusammengehen über mehrere Etappen abgestimmt und gut kommuniziert, bis die Richtung fest stand. Der angestrebten Verstärkung der Familiendestination liegt jetzt auch eine klare Investitionsstrategie zugrunde, weil der entsprechende Nachholbedarf erkannt wurde.“

Zugmaschine: Grächen setzt mit kinderfreundlichen Angeboten klar auf den Familientourismus und will zu den führenden Schweizer Destinationen in diesem Bereich zählen.

MM: „Wie wirkt sich das praktisch aus, welche Vorteile ergeben sich im Tagesgeschäft und in Saisonplanung bzw. Produktgestaltung?“Stoffel: „Konkret führen jetzt nicht mehr der Tourismusverein, die Bergbahnen und die Berggastronomie als getrennte Organisationen ihre Geschäfte, sondern sind integriert in der Organisation der touristischen Unternehmung Grächen AG. Die Geschäftsleitung unter meiner Führung umfasst folgende Bereiche: Technik, IT/Elektronik, Marketing, Finanzen/HR, Gastronomie. Der Bereich Technik schließt alle Installationen und den Fuhrpark, auch den Unterhalt der Kinderparks, Themen-, Wander- und Bikewege mit ein. Im Tagesgeschäft reduziert sich der Aufwand durch die klaren Verantwortlichkeiten und die schlanke Organisation entscheidend. Vorher mussten oft erst lange die Zuständigkeiten geklärt werden – ist das jetzt Tourismus oder Bergbahn – diese Fragen sind wirklich vom Tisch. Heute beschäftigen wir ganzjährig rund 50 feste Mitarbeiter, im Winter arbeiten insgesamt etwa 135 Menschen im Unternehmen.Die kurzen Wege vereinfachen auch die Saisonplanung. Unser Marketing lanciert die Produktegestaltung frühzeitig in Zusammenarbeit mit externen Leistungsträgern, z.?B. mit der Hotellerie oder Restaurationsbetrieben vor Ort. Dann kommen die Ideen herein, wir diskutieren und verabschieden sie und setzen sie um. Als aktuelles Beispiel nehmen Sie unsere ,Ravensburger Skisafari‘: Der Entscheid dazu fiel im letzten Frühjahr, das Marketing erstellt ein schlüssiges Verkaufskonzept, wir kümmern uns intern mit den Verantwortlichen für den Wald und die Hütten um die Verfügbarkeit der einzelnen Spielstationen, deren Zustand und Sauberkeit wird über die Saison durch unseren Rettungsdienst sicher gestellt. In der Produktegestaltung sind wir viel schneller und können unmittelbarer auf Veränderungen im Markt reagieren. Ein Beispiel ist die Euro-Thematik: Wir haben die Aktion ,Grächen Euro 1,35‘ ins Leben gerufen, mit der wir unseren Gästen an bestimmten Wochen im Dezember, Januar und März bzw. Ostern Leistungen zum fixen Euro-Wechselkurs von 1,35 Franken anbieten. Wir brauchten 10 Tage, dann hatten wir 60?% der Hotellerie, die Bergbahnen, den Tourismus, über 100 Wohnungen, Skischulen und Sportgeschäfte zusammen. Wir sind einfach sehr flexibel, weil die Prozesse sehr schnell laufen.Als dritten Punkt nenne ich die Professionalisierung – wir können unsere Leistungen viel professioneller anbieten. Das sind die drei wirklich wichtigen Punkte, die uns den erhofften Wettbewerbsvorteil bringen.“

Kernbusiness: Als wichtiges Instrument der Destinationsentwicklung führt die Touristische Unternehmung Grächen die gesamte Berggastronomie selbst.

MM: „Die Gastronomie und Hotellerie machen bei der Wertschöpfung am Berg einen hohen Anteil aus. Wie sieht deren Organisationsform in Grächen heute aus und worin liegen zukünftige Planungen?“Stoffel: „Wir führen die Gastronomie am Berg selbst. Dieser Bereich zählt zu unserem Business und ist als solches voll ins Unternehmen integriert, was enorm bei der Gestaltung des Gesamtprodukts hilft. Neben dem Familienrestaurant Mäc SiSu, verfügen wir auf der Hannigalp über ein weiteres großes Restaurant, dazu das Hannighüsli mit einem exklusiveren Angebot, sowie über zwei Schneebars. Wir können das ganze Angebot am Berg diversifizieren – das ist für uns ganz wichtig.Unten im Dorf engagieren wir uns bewusst nicht, damit wir eine saubere Trennung haben. Hier betreibt allerdings die Matterhorn Valley Hotels AG insgesamt acht Hotels, die zusammen über 60 % der Betten in Grächen bieten. Mit ihr arbeiten wir sehr eng auf Geschäftsleitungsebene zusammen, bis hin zur gegenseitigen Teilnahme an Geschäftsleitungssitzungen. Wir koordinieren die Angebote, machen Themenvorschläge und schauen, was bei ihnen läuft. Mit einem Ansprechpartner haben wir so über 60?% der Betten abgedeckt, was uns z.?B. bei der Euro-Aktion auf einen Schlag ein Kontingent von über 400 Betten einbrachte. Diese Kooperation ist sehr begrüßenswert und hilft natürlich auch in der ganzen Destinationsentwicklung.“MM:  „Wie gestalten sich die aktuellen Saison-Kennzahlen in Grächen? Wer kommt im Winter, wer im Sommer nach Grächen?“Stoffel: „Auf Grund unserer exponierten Lage liegt unser Schwerpunkt saisonübergreifend im Mehrtages-Tourismus mit einer Verteilung auf etwa 80?% Logiergäste und 20?% Tagesgäste. Die Umsätze verteilen sich bei den Übernachtungen zu 2/3 auf den Winter, bei den Bergbahnen liegt das Verhältnis bei etwa 90?% Winter/10% Sommer. Im Winter, während der Ferienzeit, haben wir ausgesprochen viele Familien, sie bilden dann das überwiegende Gästesegment. Im? Januar kommen zudem viele Gruppenreisende, z.?B. Unternehmens-Incentives, die dann einfach drei, vier Tage anreisen.Im Sommer haben wir bislang weniger Familien, hier kommen noch überwiegend die Aktiven um 50 zum Wandern in allen Varianten. Wir liegen unmittelbar an den schönsten Höhen-Wanderrouten – etwa nach Saas Fee oder Zermatt – da bedienen wir das Segment Alpinismus/Bergwandern.Die Zahlen zeigen, dass wir noch viel Potenzial bei den Bergbahnen im Sommer haben. Dort haben wir erkannt, dass unser Produkt hinsichtlich seiner Attraktivität auf Familien noch zu wenig akzentuiert war. Deshalb haben wir hier die Märchen-Gondelbahn inszeniert und werden im Sommer auf der Hannigalp einen großen SiSU-Kinderpark eröffnen. Diese Angebote bauen wir konsequent aus, das heißt unser Berg soll zum echten Familien-Urlaubsberg werden.“

Eventmarketing: Familiengerechte Veranstaltungskonzepte, wie hier das Family-Open-Air 2010 spielen eine zentrale Rolle in Grächen. SiSu („Sicher-Sunna“) ist als Maskottchen und Wetterversprechen immer dabei (l.).

MM: „Wie wichtig sind dabei Events, wie ermitteln Sie Trends und wie sprechen Sie Ihre Zielgruppen an?“Stoffel: „Events haben einen großen Stellenwert für uns. Wir wollen uns als Kinder- und Familiendestination positionieren und das heißt natürlich, dass die ganze Eventstrategie in diese Richtung geht. Wir haben verschiedene neue Events kreiert, wie z.?B. das Familien-Open Air auf der Hannigalp 2010, oder eine Märchen-Inszenierung auf dem Dorfplatz im Sommer. Wir planen die Veranstaltungen immer direkt zum Thema Kinder, immer zum Thema Familien.In der Planung ist unser Marketing ganz offen und nutzt verschiedene Foren, u.a. auch in Zusammenarbeit mit den Partnern aus der Hotellerie. Wir machen auch Studienreisen, schauen uns Projekte an und fragen, wie können wir das hier verbinden? Die ursprüngliche Idee für unsere Märchengondeln stammt beispielsweise aus Fiss. Die dortige Almbahn ist zwar nach einem ganz anderen Konzept inszeniert, wir haben aber die Grundidee aufgenommen und nach unseren Bedürfnissen entwickelt.Zur Ansprache unserer Zielgruppe Familie nutzen wir verschiedene Kooperationen mit Akteuren, die auch in diesem Segment tätig sind. Eine Kooperation besteht mit dem deutschen Spielehersteller Ravensburger, der mit dem Ravensburger Spieleland auch einen eigenen Freizeitpark betreibt. Unsere Gäste erhalten gegenseitig direkte Vergünstigungen, zudem bestreiten wir gemeinsam mit den Spielespezialisten Messen und Veranstaltungen, wo wir unsere Angebote ,Ravensburger Skisafari‘ bzw. den sommerlichen ,Ravensburger Spieleweg‘ vorstellen. Eine weitere Kooperation besteht mit dem Coop Family Club, über dessen Kanäle wir regelmäßig auf unsere Angebote hinweisen. Wir nutzen heute diese und weitere Kooperationen sehr konsequent, um uns als Kinder- und Familiendestination zu positionieren.“MM: „Welche Auswirkungen hat Ihre Konzentration auf den Kinder- und Familientourismus auf andere Gästegruppen, wie z.B. die 20- bis 30jährigen oder die sogenannten ,Silver-Ager‘? Grenzen Sie die nicht eher aus?“Stoffel: „Natürlich spüren wir gerade bei den 20- bis 30jährigen gewisse Auswirkungen, stärker noch vielleicht einige Leistungsträger im Dorf, wenn etwa einzelne Bars nicht mehr so laufen. Aber ich bin überzeugt, wenn man sich positioniert, muss man sich konsequent positionieren. Positionieren heißt konzentrieren und differenzieren. Wir bieten zum Beispiel weiterhin einen Snowpark, aber eben abgestimmt auf Jugendliche zwischen 10 und 16 Jahren. Was wir nicht haben, ist wildes Aprés-Ski oder die großen Ski-Partys.Wir sehen das auch an vielen unserer Gäste, die hier das Skifahren lernen und bis ins Alter von 15, 16 Jahren bleiben. Dann sieht man sie plötzlich nicht mehr. Doch sie kommen wieder zurück – zehn Jahre später mit ihren eigenen Kindern. Genau diesen Kreis zu schließen streben wir an, und das funktioniert eigentlich gut. Ähnlich verhält es sich mit den heutigen Großeltern aus den ,Drei-Generationen-Familien‘. Vor allem im März – außerhalb der Ferienzeit – kommen die Großeltern mit den Enkelkindern auf Kurzurlaub zu uns. Wir reagieren darauf mit speziellen Packages und beziehen diese „aktiven“ Großeltern z.?B. auch in den Familienpass mit ein. Bei der Gestaltung unserer Angebote müssen wir einfach die Veränderungen in der Typologie moderner Familien berücksichtigen.Vor allem im Sommer kommen aber auch die sogenannten ,Silver-Ager‘ auf Genießer-, Natur- oder Wanderurlaub zu uns. Mit speziellen Angeboten gehen wir dann auch auf dieses Segment ,50+‘ ein. Das schließt sich überhaupt nicht aus, vor allem wenn man es unter Qualitätsgesichtspunkten betrachtet. Wenn man guten Familien-Tourismus macht, betreibt man von sich aus qualitativ guten Tourismus. Kinder bedürfen einfach einer stärkeren Freundlichkeit und Aufmerksamkeit als etwa die Zielgruppe der 20 bis 30-Jährigen. Wenn man sich daran ausrichtet, liefert man automatisch ein attraktives Angebot, das dann auch von Eltern und Älteren sehr geschätzt wird.“

Familien-Urlaubsberg: Als zentraler Treffpunkt wird die Hannigalp im Winter als Mehr-Generationen-Erlebnis inszeniert und ausgestattet.

MM: „Die Touristische Unternehmung Grächen verfolgt auch ein ambitioniertes Investitionsprogramm für Seilbahnen, Beschneiung und Berggastronomie in Höhe von 45 Mio. Franken. Wie gestaltet sich die sukzessive Umsetzung in den kommenden Jahren?“Stoffel: „Als ersten wichtigen Schritt haben wir jetzt zunächst unseren zentralen Zubringer erneuert. Von den insgesamt 14,5 Mio. Franken konnten wir 9 Millionen aus Eigenkapitalmitteln aufbringen, davon 4,8 Millionen durch Neueinlagen aus Grächen selbst. Das zeigt auch, wie stark das Dorf hinter dem Gesamtprojekt steht. In der nächsten Stufe planen wir von der Hannigalp aus eine kuppelbare Sesselbahn in Richtung Wannihorn. Wir erschließen dann die bestehenden Pisten dieses Gebiets besser, sorgen für einen bequemeren Anschluss ins Gebiet Seetalhorn und ersetzen gleichzeitig drei Skilifte älteren Datums. Als drittes großes Bahnprojekt ist dann im Gebiet Seetalhorn der Ersatz der Sesselbahn Plattja von 2?400 auf 2?800 Meter geplant, deren Konzession bis April 2015 läuft.Letztlich entscheidet aber unsere finanzielle Situation über das weitere Vorgehen, zumal sich das gesamte wirtschaftliche Umfeld seit den ersten Planungen 2008 stark verändert hat. Natürlich wäre es für uns wichtig, dass wir alle diese Projekte realisieren können. Unter Berücksichtigung des Winterverlaufs und der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden wir im Februar entscheiden, wie der Fahrplan aussehen wird. Für uns gilt: es wird nur investiert, wenn die Finanzierung steht. In der Gesamtprojektierung wird es allerdings keine Änderungen geben, sie wurde von allen Seiten gut angenommen.“Zur PersonAls gebürtiger Walliser und ehemaliger Skirennläufer hat Dr. Berno Stoffel seit jeher eine enge Verbindung zu den Bergen und dem Wintersport. Nach Studium und Aufenthalten im Ausland war er verantwortlich für die Forschung und Entwicklung der Berufsbildung in der Schweiz. Gleichzeitig wandte sich der 42-jährige als Verwaltungsratspräsident der Giw AG Bergbahnen in Visperterminen den Seilbahnen und dem Berg- und Wintertourismus zu. Neben erfolgreichen Großevents realisierte Stoffel dort im Zuge einer langfristig angelegten Entwicklungsstrategie auch thematisch angelegte Seilbahn-Inszenierungen, für die er 2007 mit dem Schweizer Milestone-Tourismuspreis ausgezeichnet wurde. Seit Dezember 2008 ist er als CEO für die Gesamtkoordination und operative Leitung der Touristischen Unternehmung Grächen zuständig.