Lawinen auf Satellitenbildern automatisch erkennen
Satellitenbilder machen Lawinenereignisse großflächig sichtbar. Um dieses Potenzial für das Monitoring nutzbar zu machen, haben Forschende des SLF eine Methode entwickelt, mit der sich Lawinen auf optischen Satellitenaufnahmen automatisch, schnell und zuverlässig kartieren lassen. Die Ergebnisse haben sie kürzlich in der Fachzeitschrift „The Cryosphere“ veröffentlicht.
In welchen Gebieten kommen wiederholt Lawinen vor? An welcher Stelle reißen sie an und welchen Weg nehmen sie? Wie häufig ereignen sie sich und in welcher Größenordnung? Diese Fragen sind wichtig, um das Gefahrenpotenzial von Lawinen besser einschätzen und das Risikomanagement optimieren zu können. Für die Analyse von Lawinen ist die Vogelperspektive besonders aufschlussreich. „Interessant sind für uns vor allem Satellitenbilder“, sagt Elisabeth Hafner, die am SLF in der Gruppe Alpine Fernerkundung doktoriert. „Sie geben im Gegensatz zu Besuchen im Gelände oder Webcam- und Drohnenaufnahmen nicht nur Einblick in Teile des Berggebiets, sondern können den ganzen Schweizer Alpenraum großflächig abbilden.“
Satellitenbild ist aber nicht gleich Satellitenbild. Hafner und ihre Kollegen beschäftigen sich aktuell mit den Daten optischer Satelliten. Es handelt sich dabei sozusagen um Fotos, wie man sie etwa aus Google Maps kennt. Die Aufnahmen des französischen Satelliten SPOT 6/7, die die SLF-Forschenden für die Lawinenkartierung nutzen, haben eine Auflösung von 1,5 Metern und sind äußerst detailreich. „Auf solchen optischen Satellitenbildern können wir den kompletten Umriss einer Lawine erkennen, also auch Ort und Art des Anrisses und ihren Verlauf“, erklärt Hafner. Im Hinblick darauf beschlossen die Doktorandin und ihr Team eine auf Machine-Learning basierte Bildanalysemethode zu entwickeln, mit der sich Lawinen auf optischen Satellitenaufnahmen automatisch identifizieren und kartieren lassen. Bisher ist das nämlich noch mühsame Handarbeit: Man muss die Aufnahmen auf dem Bildschirm von Auge nach Lawinen absuchen und deren Umriss manuell nachzeichnen.
Genau das hat Hafner auf Satellitenaufnahmen von SPOT 6/7 gemacht. Die Bilder datieren vom 24. Januar 2018 und dem 16. Januar 2019 – Tage, für die das SLF die höchste Lawinenwarnstufe 5 (sehr groß) prognostiziert hatte. Hafner kombinierte die Satellitenbilder mit der Schweizer Karte und einem digitalen Geländemodell, um zu überprüfen, ob ein Lawinenereignis in einem bestimmten Gebiet überhaupt plausibel ist. Denn Lawinen entstehen praktisch nur in Hängen, die steiler sind als 30 Grad. Insgesamt identifizierte und kartierte die Forscherin auf den Aufnahmen der zwei Tage über 24.000 Lawinen. „Im Schnitt habe ich etwa 2 Minuten pro Lawine gebraucht – ich habe also fast fünf Wochen nur mit Lawinensuchen verbracht“, erzählt Hafner lachend. „Das zeigt, wie wichtig es ist, diesen Prozess zu automatisieren, um in der Praxis die Lawinenaktivität schneller analysieren zu können.“
Die manuelle Kartierung bildete die Grundlage, um den Computer zu trainieren, ihm beizubringen, was in der Aufnahme Lawine ist und was nicht. Hafner griff dabei auf eine etablierte Methode zurück, adaptierte diese aber so, dass neben den optischen Daten auch explizit die topografischen Informationen aus dem Geländemodell verarbeitet werden. Die Evaluation der Methode ergab schließlich einen F1-Score von 0.63, wobei ein Wert von 1 eine perfekte Reproduzierbarkeit bedeuten würde. „Wir waren damit zuerst nicht so zufrieden, konnten die Leistung mit Anpassungen am Modell aber nur marginal verbessern.“ Da kam den Forschenden ein Gedanke: Was, wenn sich selbst Fachleute bei der Existenz und den Umrissen von Lawinen nicht immer einig sind?
Also ließ Hafner ein Satellitenbild von fünf Lawinenexpertinnen und -experten manuell kartieren und verglich deren Übereinstimmung. Resultat: In besonnten, gut sichtbaren Gebieten war die Übereinstimmung höher als in schattigen Bereichen. Insgesamt erkannten die Expertinnen und Experten gleich viel Lawinenfläche wie das Modell. Das zeigt, dass der Computer Lawinen praktisch genauso verlässlich erkennt, wie verschiedene Fachleute. In einem nächsten Schritt wird Hafner untersuchen, wie diese bei der manuellen Kartierung vorgehen und warum sie die Aufnahmen in manchen Fällen anders beurteilen. „Wenn wir diese Unsicherheiten kennen, haben wir die Chance, unser Modell entsprechend zu justieren. Unsere Zukunftsvision ist es, dass der Computer Lawinen in optischen Satellitendaten schnell und konsistent erkennt und täglich für den Schweizer Alpenraum kartiert, damit die Entscheidungsträger diese wichtigen Informationen zeitnah zur Verfügung haben.“ (Isabel Planer)