SLF-Forschende untersuchen, wie sich künstliche Steine auf rauem Untergrund bewegen, um Gefahrenhinweiskarten zu verbessern. (Jochen Bettzieche/SLF)

 «Oh, oh, der ist kaputt», sagt Joël Borner und schaut seinem Felsblock hinterher, hinunter ins Hauptertälli. Einen großen, rot-orangen Betonklotz hat der Steinschlagexperte des SLF den gut 30 Grad steilen Hang von seiner Abwurfstelle nahe dem Weißfluhjoch bei Davos hinabstoßen lassen, auf Kommando: «Wir starten in drei, zwei, eins, Start.» Auf seinem Weg hinab stieß der Block dann auf einen Felsen – und zersprang mit einem lauten Knall in zwei Teile.

Borner will herausfinden, wie Steine und Blöcke auf rauem Untergrund wie dem hier vorhandenen Hangschutt herabstürzen, wie sie sich bewegen, wie sie von Hindernissen abgelenkt werden: «Jeder Stein startet irgendwo, ich will wissen, wie weit er kommt und wie schnell er wird.» Seine Ergebnisse sollen in erster Linie in sein Computermodell einfließen, mit dem er solche Stein- und Blockschläge simuliert Auf deren Basis können unter anderem Gefahrenhinweiskarten der Schweizer Bergregionen für Gemeinden und Kantone erstellt werden.

Die Versuche sind nicht ungefährlich. Immerhin verläuft innerhalb des Hangs der Wanderweg vom Strelapass zum Weißfluhjoch. Hier sind Menschen unterwegs, zu Fuß und mit dem Mountainbike. Borner benötigt daher für jeden Versuchstag eine Gruppe Freiwilliger vom SLF, die unter anderem hilft, diesen Weg vor jedem Steinwurf kurzfristig zu sperren.

Denn die Blöcke wiegen zwischen 45 und 200 Kilogramm und sind ungefähr genau so groß wie das natürliche Geröll im Hang. Ihre Sturzbahn verläuft scheinbar zufällig. «Sie können hoch in die Luft geschleudert werden, ihre Richtung schlagartig ändern oder auch in einem einzigen Aufprall jegliche Energie verlieren, genau das interessiert uns in dieser Phase.», nennt Borner den Grund für die obere Grenze. Um vergleichbare Resultate zu erhalten, hat er eigens 30 stahlbewehrte Betonblöcke gießen lassen, mit unterschiedlichen Formen und Größen, um verschiedene Sturzprozesse zu analysieren.

Fels für Fels

Borner und seine Helferinnen und Helfer stecken lange Metallzylinder in vorgebohrte Löcher und verkeilen sie. «Man darf sie nicht zu fest anziehen, sonst brechen Teile raus», warnt der Forscher. In jedem dieser Zylinder steckt ein Sensor. Eine Forscherkollegin protokolliert genau, welcher Sensor in welchen Zylinder und in welchen Stein kommt. Mit deren Hilfe misst Borner diverse Daten, unter anderem die Beschleunigung und Rotationsgeschwindigkeit.

Schon eine gute Woche vor den ersten Experimenten hat er die Steine mit der Bergbahn auf das Weißfluhjoch bringen lassen. Acht Fahrten waren dafür nötig. Dann war er noch zwei Mal mit großen Einkaufstaschen voller Zubehör vor Ort, um am gegenüberliegenden Hang, mitten im Fels, einen geeigneten Standort für eine Kamera auszuwählen, die Steine farbig zu nummerieren und Referenzpunkte im Gelände farblich zu markieren. Die Kamera zeichnet die Experimente auf, Betonfels für Betonfels.

Unterstützung aus der Luft

Das SLF hat Stein- und Blockschlag bereits zuvor auf ähnliche Weise untersucht, am Flüelapass bei Davos auf weichem Boden und im Wald bei Schiers im Prättigau. «Die Interaktion mit Hang- und Blockschutt haben wir bislang nicht so detailliert betrachtet», sagt Borner. Die Computermodelle funktionierten daher dort nicht so gut, weil sie die Rauigkeit des Bodens nicht angemessen berücksichtigen. Das will der Forscher ändern und die dafür benötigten Daten liefern. «Denn insbesondere dort, wo man Steinschlag erwartet, ist meist bereits Geröll vorhanden», erläutert er.

Ab und zu entsteht bei den Tests eine Pause. Dann ist der Wanderweg frei und SLF-Fernerkundungsspezialist Andi Stoffel vermisst das Gelände, in dem die Steine liegen, mit Hilfe einer Drohne. Von oben sieht es aus, als hätte jemand einer Partie Boccia am Hang gespielt, mit zugegebenermaßen großen Kugeln.

Räder sind am gefährlichsten

Im Anschluss bestimmen die Helfenden per GPS die genauen Endpunkte, bei denen die Steine gelandet sind, bevor das Team die Sensoren einsammelt. Borner liest die Daten noch vor Ort aus, dann kommen die Sensoren in die nächste Charge der Steinblöcke. Die radförmigen interessieren ihn am Meisten: «Steht ihnen nichts im Weg, werden sie mit Abstand am schnellsten und gefährlichsten. Treffen sie aber auf ein Hindernis, können sie auf ihre flache Seite kippen und so sogar im steilen Hang liegen bleiben. Ihre Reichweite variiert also extrem.»

Im kommenden Jahr wird der Forscher erneut Richtung Weißfluhjoch aufbrechen. Dann stehen die Betonklötze wieder an ihrem Ausgangspunkt. Und dann wird er wieder seine Kommandos durchs Funkgerät geben: «Wir starten in drei, zwei, eins, Start.»